Unterwegs mit der Mobile Clinic

Transportfahrzeug der Mobile Clinic (Photo: EAPPI)
Transportfahrzeug der Mobile Clinic (Photo: EAPPI)

Jeden zweiten Donnerstag geht es für Suhad und ihre Kollegen von der Mobile Clinic wieder in die „Seam Zone“, um medizinische Versorgung für jene bereitzustellen, die von der Außenwelt abgeschnitten sind. Regelmäßig begleiten auch wir Ökumenische Begleiter*innen die Mobile Clinic auf diesen Fahrten.

Kartenausschnitt © UNOCHA
Kartenausschnitt © UNOCHA

Als „Seam Zone“ wird jener Bereich bezeichnet, der zwischen der Grünen Linie – der Waffenstillstandslinie zwischen Israel und Jordanien von 1949 – und der Trennbarriere liegt, deren Bau im Jahr 2002 begann.[1] Hinter dem Checkpoint Jaljoulia und der Grünen Linie liegen 3km dieser Seam Zone, also Land innerhalb der Westbank, das von dieser jedoch abgetrennt wurde. Genau dort, zwischen der Trennbarriere und dem offiziellen Staatsgebiet Israels, liegen die beiden Beduinendörfer Ramadin al-Janubi und Abu Farda, am Fuße der nach internationalem Recht illegalen israelischen Siedlung Alfei Menashe mit ihren über 7.500 Einwohnern. Obwohl die Menschen in den beiden Gemeinden nun quasi auf „israelischer Seite“ hinter dem Checkpoint leben, besitzen sie weder einen israelischen Pass, noch die Möglichkeit, sich in Israel frei zu bewegen. Die Grenzen ihres Dorfes sind die Grenzen ihrer Bewegungsfreiheit. Um auf die andere Seite der Trennbarriere in die Westbank zu gelangen, wo sich alle für sie relevanten Einrichtungen befinden, müssen sie einen Checkpoint passieren.

Bei medizinischen Notfällen müssen die Bewohner eine 45-minütige Fahrt zum nächsten palästinensischen Krankenhaus, auf der anderen Seite des Checkpoints, in Kauf nehmen. Es ist ihnen nicht erlaubt, das israelische Krankenhaus in Sichtweite zu benutzen, da sie über keine israelische Aufenthaltsgenehmigung verfügen.

EA und Fahrer der Mobile Clinic auf der SeamZone-Seite des Habla-Gates (Photo: EAPPI)
EA und Fahrer der Mobile Clinic auf der SeamZone-Seite des Habla-Gates (Photo: EAPPI)

Es gibt auch Checkpoints, die von Palästinensern genutzt werden, deren landwirtschaftlichen Flächen seit Errichtung der Trennbarriere in der Seam-Zone liegen. Beim Habla-Checkpoint handelt es sich um ein solches sogenanntes „agricultural gate“. Die Trennbarriere wurde zum größten Teil auf palästinischem Land gebaut und ist laut eines Urteils des Internationalen Gerichtshofs aus dem Jahr 2004 zufolge illegal, wo die Route nicht der Grünen Linie folgt[2]. Gerade in der Qalqiliya-Region ist die Diskrepanz zwischen der Grünen Linie und dem tatsächlichen Verlauf der Trennbarriere besonders hoch. Da viele Bauern Land auf der anderen Seite der Sperranlage besitzen müssen sie morgens an diesen Grenzübergängen anstehen und einen Passierschein vorzeigen, um ihr Land betreten zu können. Die Vergabe dieser Passierscheine, auch „Permits“ genannt, erfolgt über die Zivilverwaltung der israelischen Armee, der sogenannten „Israeli Civil Administration“. Die Anzahl der vergebenen „Permits“ an die Bauern wird jedoch von Jahr zu Jahr weniger, beklagt Suhad. Auch wir haben mit vielen Bauern gesprochen, die uns erzählten, dass die Anzahl der vergebenen Genehmigungen in ihren Dörfern immer niedriger werde. Gründe für eine Ablehnung, so sagten sie uns, werden in der Regel nicht genannt. Viele Bauern sind deshalb verzweifelt und müssen einen anderen Weg finden, um sich und ihre Familien zu ernähren, da sie ihr eigenes Land nicht mehr bewirtschaften können.

Behandlungszelt im Beduinendorf Ramadin al-Janubi (Photo: EAPPI)
Behandlungszelt im Beduinendorf Ramadin al-Janubi (Photo: EAPPI)

Nun aber zurück zur Mobile Clinic. Suhad und ihr Team aus Ärzten, technischen Laborassistenten und Gesundheitsarbeitern arbeitet für die Palestinian Medical Relief Society (PMRS), eine palästinensische NGO. Unter anderem werden dort Patienten kostenlos behandelt und medizinisch versorgt. Das Programm der Mobile Clinic wird Suhad zufolge unter anderem von UNRWA und von europäischen Geldgebern unterstützt.

Mobile Clinic Team in Ramadin al-Janubi im Behandlungszelt bei der Arbeit (Photo: EAPPI)
Mobile Clinic Team in Ramadin al-Janubi im Behandlungszelt bei der Arbeit (Photo: EAPPI)

Nach einem schnellen Frühstück mit dem Team im Qalqiliya-Büro der PMRS geht es auch schon los. Zuerst machen wir einen kurzen Stopp, um die Medikamente und das medizinische Equipment einzuladen. Dann geht es in Richtung Jaljoulia Checkpoint. Dort werden wir herausgewunken. Unsere Mobile Clinic wird sowohl von Soldaten als auch von Sprengstoffhunden genaustens untersucht. Wir Insassen werden in einen separaten Bereich geführt, in welchem unsere Rucksäcke und Handtaschen gescannt und die „Permits“ der palästinensischen Mitarbeiter gecheckt werden. Nach einer ca. 30-minütigen Verzögerung geht es weiter. Zuerst besuchen wir das Dorf Ramadin al-Janubi, in dem ungefähr 300 Menschen leben. Die Lebensbedingungen dort sind schlecht. Es gibt kein fließendes Wasser und keine Elektrizität. Einige der Dorfbewohner empfangen uns vor einem großen Zelt, welches als Behandlungszimmer dient. Suhad erklärt uns, dass das Team normalerweise immer in der dorfeigenen Schule die Patienten untersucht, die aber momentan renoviert wird.

Fahrzeug der Mobile Clinic in Abu Farda (Photo: EAPPI)
Fahrzeug der Mobile Clinic in Abu Farda (Photo: EAPPI)

Nach einer guten Stunde geht es weiter. Diesmal nach Abu Farda. Auch dort leben ungefähr 300 Menschen. Die Beduinen in Abu Farda verdienen sich ihren Lebensunterhalt durch die Tierhaltung. Es gibt dort viele Kühe und Hühner. Mensch und Tier leben auf engstem Raum zusammen. Die meisten Häuser sind eher Hütten, mit Wellblechdächern. Richtige Straßen gibt es auch nicht. Da die Bewohner des Dorfes keine israelische Staatsbürgerschaft besitzen, wird auch ihr Müll nicht von den israelischen Behörden abgeholt, palästinensische Behörden haben keinen Zugang zur Seam Zone. Ein funktionierendes Abwassersystem gibt es ebenfalls nicht. Kinder spielen barfüßig in Matsch und Schlamm.

Mobile Clinic Team bei der Behandlung von Patientinnen in Abu Farda (Photo: EAPPI)
Mobile Clinic Team bei der Behandlung von Patientinnen in Abu Farda (Photo: EAPPI)

Im Behandlungsraum – diesmal ein überdachtes Zimmer im Haus des Bürgermeisters – sitzen mehrere Frauen und Kinder. Wir werden sehr herzlich empfangen. Der Geruch ist kaum auszuhalten. Das Team der Mobile Clinic hat uns gewarnt. Wir haben Zitronenschalen in die Hand gedrückt bekommen. Wenn man sich diese vor die Nase hält, neutralisieren sie den Geruch. Doch wir wollen nicht unfreundlich sein und lassen die Zitronenschalen schnell in unseren Taschen verschwinden. Während das Team nach ca. 45 Minuten zusammenpackt, schauen wir uns kurz um. Die Bedingungen in diesem Dorf sind katastrophal. Ich frage mich, wie man so leben kann.

Suhad zufolge versuchen die israelischen Behörden schon länger, die Bewohner dieses Dorfes zu vertreiben, da das Land sehr nah an der israelischen Siedlung Alfei Menashe und deren Industriezone liegt, die den Baugrund gut gebrauchen könnten. Da die Bewohner zugleich Eigentümer des Landes sind kann der Staat nicht viel gegen sie unternehmen. Deshalb versucht Israel wohl gar nicht erst, etwas an den schlechten Lebensbedingungen der Bewohner zu ändern. Vielleicht hoffen die Behörden darauf, dass die Bewohner von selbst wegziehen, wenn sie die Umstände nicht mehr länger ertragen können.

Auf dem Rückweg nach Qalqiliya ist die Stimmung im Fahrzeug der Mobile Clinic gedrückt. Ich muss immerzu an die brüchigen Häuser, die verdreckten Straßen und den stechenden Geruch denken, mit dem die Menschen in diesem Dorf leben müssen. Ohne fließend Wasser und ohne Elektrizität. Ohne sanitäre Einrichtungen und ohne Staatszugehörigkeit. Kaum jemand fühlt sich für diese Menschen hier zuständig. Nur die Mobile Clinic kommt jeden zweiten Donnerstag vorbei und hilft, wo sie kann.

Nicola, im Juli 2018

[1] https://www.btselem.org/separation_barrier

[2] https://www.btselem.org/separation_barrier/international_court_decision

 

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