Daoud Nasser ist ein eindrucksvoller Mensch: Er scheint gleichzeitig an mehreren Orten sein zu können: wenn Studenten helfen beim Bäume pflanzen und abernten, je nach Jahreszeit. Wenn sie dort praktizierte Müllvermeidung organisieren, als gelte es zu beweisen, dass Palästina ganz viel weniger schädlichen und landschaftszerstörenden Abfall produzieren könnte. Wenn sie anfangen, das Regenwasser in ihrem Zentrum in einem großen unterirdischen Becken aufzufangen, und es dann auf andere Stellen umpumpen, mit Sonnenenergie natürlich, die intensiv genutzt wird. Wenn seine Frau und er wo auch immer gebraucht werden. Sie sind bekannt und geschützt durch ihre Bekanntheit in den neuen Medien und die stete internationale Präsenz.
All das hat er vielleicht gelernt, als er in Bielefeld studierte. Dort in der Nähe lebt sein Freund, ein Nachfahre des Bethel-Gründers Bodelschwingh, der in Deutschland vor Jahrzehnten Lehmhäuser baute – eine Idee aus den späten 20er Jahren, um Arbeitslosen billige Unterkünfte zu verschaffen, die heute noch vorbildlich Schutz sowohl gegen Hitze als auch Kälte geben. Ich lernte Bodelschwingh vor Jahren auch einmal kennen – beide, Daoud Nasser und er, sind so erfrischend un-ideologisch wie praktisch. Gleichzeitig sind sie erklärtermaßen Weltveränderer aus Prinzip mit überaus praktischen Ideen und Fähigkeiten!
Obwohl das Land der Familie Nasser zur israelisch kontrollierte „Area C“ gehört, hat er bisher nicht einen Hektar an Israel verloren; das ist seine stolze Bilanz. Ein Generationenkampf, sagt er, der Großvater und Vater ablöste darin („Both died here“). Offiziell auf ihrem Land bauen darf die Familie jedoch auch nicht. So befinden sich Unterkünfte, Abstell- und Gemeinschaftsräume zum großen Teil in renovierten Höhlen unter der Erde.
„Wir brauchen ein anderes Denken gegenüber solchen Unterdrückungsmaßnahmen Israels wie: uns nicht unabhängig werden zu lassen; unser Land zu konfiszieren; eine vollständige Infrastruktur für israelische „Siedlungen“ aufzubauen. Und die Mauer auf palästinensischem Grund und Boden zu bauen, so dass Palästina zu einer Ansammlung von „kleinen Homelands“ wird. Das sind die Hauptthemen hier.“
Er spreche lieber von Kolonien statt von Siedlungen: „Das ist die Realität. Wir haben 22 demolition orders bekommen!“ Das sind Androhungen von Hauszerstörungen, weil die Häuser nach israelischem Verständnis illegal seien, da ohne die kaum zu bekommende Genehmigung der israelischen Behörden errichtet. Bei allen Bedrohungen gehen sie grundsätzlich vor ein israelisches Gericht; 12 Verfahren laufen vor dem Militärgericht und 12 vor dem zivilen „Supreme Court“. „Wir haben bisher nicht verloren, trotz der der Aggressionen von Siedlern gegen uns und der stetig wachsenden Siedlungen um uns herum!“
„Das geht ja vielen so“, sagt er und zählt nochmals auf: 250 Olivenbäume wurden abgeholzt; sie würden alle nacheinander neu gepflanzt. Das israelische Militär zerstörte einmal die Aprikosenernte. Man machte weiter mit den anderen Ernten: „Unsere Stärke hier ist die internationale Präsenz.“ Er sagt es stolz und eindringlich, denn er weiß uns Besucher/innen sehr zu schätzen. Gleich lud er uns zu mehreren Ernten ein, die sich jetzt monatlich ablösen von Juli bis Oktober.
Dann kommt er nochmals auf die Gewalt zurück, der man nur mit Gewaltfreiheit begegne. Und er begründet es so:
- Keine Gewalt! Denn: „Gewalt schafft nur mehr Gewalt.“
- Keine Resignation! Denn: „Diese zweite Option gibt es für uns nicht; wir müssen unwiderstehlich sein wie Regenwasser im Untergrund.“
- Unser Glaube! „Als Christen glauben wir mit Jesus Christus an einen Widerstandsweg, auch ohne direkte Erfolge.“
Seine vier Grundprinzipien beschreibt er kurz und bündig:
- „We refuse to be victims.“ (Es finde auch gerade im Gelände ein Kurs zur gewaltfreien Kommunikation statt.)
- „We refuse to hate.“ Ihr Motto: „We refuse to be enemies.“ (Wir weigern uns, Feinde zu sein.)
- „We are acting non-violently!“ (Wir handeln gewaltfrei.)
- „We believe in justice!“ (Wir glauben an Gerechtigkeit.)
„Infolge dessen verlassen wir die Opfer-Mentalität grundsätzlich und tun was möglich ist, um das Unmögliche zu schaffen“, meint er überzeugend und weist auf die vielen Ansätze hin, die man hier kennenlernen kann, und die die jungen Menschen aus vielen Ländern hier auch suchen.
Sein Rat: Obstbäume pflanzen und das Kinder-Sommercamp (jeweils 8.30 bis 14.00 Uhr) mitmachen als Helfer; das Motto des letzten Sommercamps hieß: „With heart and hand we change the land!“ – Mit Herz und Hand verändern wir das Land. Ich spreche dazu mit einem jungen Mann aus Norddeutschland, der ohne irgendeine Organisation aber mit großer Hingabe hier einen dreimonatigen Zivildienst verbracht hat.
Zwei Grundsätze nennt Daoud noch, die es unbedingt brauche: eine „ausgeprägte Fähigkeit, zu träumen“; daher gäbe es auch spirituelle Teile im Programm. Martin Luther Kings „I have a dream“ ist gegenwärtig. UND: man müsse Durchhaltekraft und „Resilienz“ (Widerstandfähigkeit) haben. Und nebenbei lerne man hier eben auch viel über sich selbst, Schwächen und Stärken, Träume und Grenzen.
„Kommt und seht, geht und berichtet“, gibt er uns zum Schluss mit auf den Weg und meint stolz: „Das ist ein Ort der Inspiration.“ Er lädt uns ausdrücklich zum Abschlussfest mit den Eltern der Sommercamp-Kinder ein. Wir werden uns wiedersehen. Am Ausgang grüßt uns nochmals der Wahlspruch – mehrsprachig: „Wir weigern uns, Feinde zu sein.“ „We refuse to be enemies.“
Reinhard, August 2017