Am 28. Februar wurde der Schafhirte Saif aus dem Dorf Umm al-Amad zusammen mit einem minderjährigen Nachbarn beim Schafe hüten grundlos und brutal von Soldaten der israelischen Armee verhaftet. Eine detaillierte Beschreibung des Vorfalls wurde in der israelischen Tageszeitung Haaretz veröffentlicht[1]. Die Soldaten nahmen die beiden Schafhirten mit zum Militärposten in der nahegelegenen Siedlung Otniel. Dort wurden sie mehrere Stunden festgehalten und verhört, bevor man sie zur Polizeistation in der Siedlung Kiryat Arba transferierte. Ihnen wurde vorgeworfen, eine Wippe auf einem von Siedlern beanspruchten Stück Land in der Nähe zerstört zu haben. Nach einem weiteren Verhör wurden sie ohne jegliche Anklage mitten in der Nacht wieder auf freien Fuß gesetzt.
Seitdem gehen wir mit Saif oder anderen Mitgliedern seiner Familie Schafe hüten, um bei weiteren Übergriffen von Armee oder Siedlern dabei zu sein oder sie am besten mit unserer Präsenz zu verhindern. Die Siedler sind vor allem an den Wochenenden aktiv, so dass der Freitag in Umm Al-Amad zu unseren festen Terminen geworden ist. Inzwischen möchten auch die Nachbarn unsere Präsenz für einen reibungslosen Ablauf nutzen.
Diesmal ziehen wir mit Jamili, ihren beiden Töchtern und ihren Schafen los. Sie wohnen oberhalb von Saifs Familie. Jamili ist alleine, ihr Mann arbeitet außerhalb des Dorfes und die anderen Männer der Familie sind anderweitig beschäftigt. Ihr Mann möchte sie nur ungern alleine in die Nähe der Siedlung lassen und ist froh, dass wir auch sie beim Schafe hüten begleiten können. Der Vormittag verläuft äußerst idyllisch und ihre beiden Töchter haben großen Spaß mit den Tieren und uns internationalen Besuchern.
Am Weg, der unterhalb von Otniel vorbeiführt, sehen wir alle paar Meter Markierungen der Siedler in den Farben der israelischen Flagge weiß und blau, die als Streifen auf die Felsbrocken gemalt sind. So markieren sie auch außerhalb des großzügig um ihre Siedlung angelegten Zauns ein weiteres Areal, das ihrer Meinung nach von den Schafhirten nicht überschritten werden darf, obwohl diese hier ihre Weiden und Olivenhaine haben, deren Bewirtschaftung Grundlage für ihr Einkommen ist. Durch die Markierungen versuchen die Siedler, kontinuierlich weiter Einfluss zu gewinnen und den Zugang der Farmer zu ihrem Land zu erschweren. Wir beachten diese Grenzziehung nur teilweise, so, wie es Jamili für richtig hält. Schließlich ist es das Land ihrer Familie und wir sind immer noch etwa 100 Meter vom Zaun der Siedlung entfernt.
Nach einer Weile sehen wir einen Militärjeep mit israelischer Flagge auf dem Dach die Straße innerhalb des Zauns auf- und abfahren. Da dies schon während unseres letzten Besuchs der Fall war und ohne Zwischenfälle verlief, ändern wir unsere Route nicht. Schließlich steigen drei Soldaten aus dem Jeep und beobachten uns eine ganze Weile oberhalb des Hügels, fahren dann aber weiter. Wenig später tauchen sie wieder auf und kommen schließlich zu uns herunter. Sie haben ein Papier in der Hand und einer der Soldaten filmt uns mit seiner Handykamera, während sie auf uns zukommen. Mein Kollege übernimmt das Gespräch.
Die Soldaten versuchen erst gar nicht, mit Jamili direkt zu sprechen, die sich außerdem etwas besorgt im Hintergrund hält. Uns wird in barschem Ton eine Verordnung von einem der Soldaten auf Hebräisch verlesen. Das Papier zeigt in einer Schwarz-Weiß-Kopie eine Landkarte der Umgebung und eine Unterschrift. Ein weiterer Soldat übersetzt uns die Anordnung ins Englische, der Dritte filmt uns weiterhin die ganze Zeit. Die Verordnung hat den gesamten Weg und das Land dahinter, das noch weit unterhalb der Siedlung liegt, bis zum nächsten Morgen um neun Uhr zur geschlossenen Militärzone erklärt.
Um der Anordnung Folge zu leisten und den Weg, der jetzt auf der ganzen Länge gesperrt ist, zu verlassen, müssen wir einen dornenreichen Hügel hochlaufen. Auf Nachfrage wurde uns verwehrt, den Weg lediglich zu nutzen, um direkt zum Gehöft der Familie zurückzukehren. Der Umweg zum Haus von Jamili ist deshalb dreimal so lang und das Land, auf dem sie ihre Schafe für den Rest des Tages grasen lassen darf, ist um ein gutes Drittel geschrumpft. Da es etwas länger dauert, bergauf zu gehen – 22 Schafe und zwei gemächlich grasende Esel hindern uns am zügigen Fortkommen – werden wir darauf hingewiesen, dass wir in fünf Minuten das Gelände zu verlassen haben, sonst würden wir verhaftet. Die Soldaten beobachten uns solange, bis wir endlich mit allen Tieren auf der Hügelkuppe angekommen sind.
Trainiert wird in dieser Art militärischer Sperrzonen im Übrigen nicht. Ihre kurzfristige Festlegung dient z.B. dazu, Demonstrationen oder Zusammenstöße zu verhindern, aber sie werden auch eingesetzt, um palästinensischen Bauern und Schafhirten den Zugang zu ihren Ländereien oder Olivenhainen zu verwehren. Damit leisten sie Vorschub für die Erweiterung illegaler israelischer Siedlungen in der Westbank. Gemäß israelischer Gesetzgebung kann der Staat auch in den besetzten Gebieten Ländereien konfiszieren, die über einen Zeitraum von 3 Jahren nicht von ihren Eigentümern genutzt wurden. Dabei spielt es keine Rolle, ob ein Zugang überhaupt möglich war. Das Staatsland wiederum steht ausschließlich für die Nutzung durch Israel, z.B. für israelische Siedlungen, zur Verfügung.
Mit welcher Intensität dabei Siedler und israelische Armee kooperieren wurde Anfang des Jahres in einem Bericht der israelischen Organisation Breaking the Silence offengelegt [2]. In der Zusammenfassung der von israelischen Soldaten abgelegten Zeugnisse heißt es: „Die Zeugnisse veranschaulichen die Art und die Folgen der tief verwurzelten Beziehung zwischen den Siedlern und der israelischen Armee (IDF). Sie beschreiben eine Realität, in der Siedler aktiv an der Durchsetzung der militärischen Machtausübung gegenüber den Palästinensern beteiligt sind, und weisen darauf hin, dass das Militär häufig von Siedlern als Werkzeug für die Stärkung ihres Zugriffs und ihrer Kontrolle des Gebietes benutzt wird.“
Auch im Fall von Saifs grundloser Verhaftung Ende Februar hatten Siedler aus Otniel die Aktion der Armee gegen die Palästinenser ausgelöst. Unsere Präsenz vor Ort kann diese Übergriffe leider nicht immer verhindern, aber sie geschehen wesentlich seltener. Die Menschen fühlen sich sicherer, wenn wir vor Ort sind, die Vorgänge als Zeugen dokumentieren und unsere Beobachtungen weitergeben.
Ina, April 2017
[1] http://www.haaretz.com/opinion/.premium-1.775383